Fraudster
Fashion
Hochstapeln hat Konjunktur. Gerissene Fraudster wie Anna Sorokin, die in Manhattan als reiche Industriellen-Tochter auftrat, oder Elizabeth Holmes, die in der Rolle der genialen Biotech-Unternehmerin Millionen ergaunerte, wurden zu Medienstars. Es geht aber auch eine Nummer kleiner: In den sozialen Netzwerken geht es bei modischen Inszenierungen längst nicht mehr nur um die Performance von Individualität, sondern darum, möglichst überzeugend einen High-Society-Lifestyle abzubilden. Was taugt die Mode als Strategie der Selbsterzählung?
Dr. Diana Weis (1974) studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Kommunikationswissenschaft in München und Berlin. Sie unterrichtet Modetheorie, Ästhetik und Körpersoziologie an verschiedenen Hochschulen und schreibt als freie Autorin Stilkritiken für zahlreiche Magazine. 2012 hat sie das Buch „Cool Aussehen. Mode & Jugendkulturen“ herausgegeben. Neben textilen Modephänomenen interessiert sie sich stark für Körpermoden und Schönheitsnormen. Sie promovierte 2017 an der Universität Hamburg mit einer kulturwissenschaftlichen Arbeit über das Nervengift Botox. Seit Oktober 2019 ist Diana Weis Professorin für Modejournalismus an der BSP Business School Berlin. Im März 2020 erschien ihr Buch „Modebilder“ in der Reihe Digitale Bildkulturen bei Wagenbach.
Eine Verwechslungskomödie: Mode und Selbst
Eigentlich ist Shakespeare an allem schuld. Mit seinen Verwechslungskomödien führte er einem erstaunten Theaterpublikum schon vor gut 400 Jahren vor Augen, wie die Mode als Mittel der Täuschung genutzt werden kann. In Der widerspenstigen Zähmung wird ein betrunkener Kesselflicker zum feinen Herrn ausstaffiert und genießt dadurch Respekt und Privilegien, die ihm vorher verschlossen waren.
Bühne, Scheinwerferlicht und Vorhang sind Sinnbild des sozialen Lebens, vielleicht des Lebens überhaupt: Jeder Mensch spielt verschiedene Rollen und muss dem eigenen Selbst dabei ebenso gerecht werden, wie den Erwartungshaltungen der Umwelt. Nicht immer lassen sich dabei Wunsch und Wirklichkeit trennen. Ist ein Zahnarzt, der in seiner Freizeit in der schwarzen Perfecto-Lederjacke seine Harley besteigt, im Herzen eigentlich ein Rocker? Welche Rolle ist authentisch, welche gespielt? Als Indikator zeigt die Mode eben nicht verlässlich an, wer eine Person ist, sondern gibt Auskunft darüber, wer sie gerne wäre.
Fake it till you make it: Mode und soziale Mobilität
Die verurteilte Hochstaplerin Anna Sorokin, Tochter eines russischen LKW-Fahrers, wollte mehr vom Leben. Also erfand sie einen reichen Daddy und ein millionenschweres Bankkonto, bei dem es bedauerlicherweise immer wieder zu Komplikationen und Verzögerungen kam. Man wundert sich, mit welcher Naivität Banken und Bekannte ihr immer wieder hohe Summen vorstreckten, Luxushotels und teure Restaurants ihr die Rechnungen stundeten. Der Grund war simpel: Sie spielte ihre Rolle überaus überzeugend. Sie nutze Designer-Labels bewusst als Eintrittskarte für einen Lifestyle, den sie sich nicht leisten konnte, der ihr aber nach dem eigenen Empfinden zustand. Die Netflix-Serie Inventing Anna, die auf ihrem Leben basiert, wurde zur Kostümschlacht mit Signature-Pieces von Oscar de la Renta, Gucci, Prada oder Givenchy. Zu Halloween stolzierten Heere von Möchtegern-Annas in übergroßen Céline-Sonnenbrillen durch die Straßen von Manhattan. Ihren ikonischsten Auftritt hatte Anna bei der Urteilsverkündung vor Gericht: In einem weißen Babydollkleid wurde sie zur personifizierten Unschuld vom Lande.
Das Outfit muss zur Rolle passen. Hochstapler:innen sind gute Beobachter:innen. George Santos brachte es bis in den US-Kongress, weil er unter anderem den Stil der New Yorker Finanz-Bros imitierte: Reiche Söhne mit Ivy-League-Abschlüssen, die mit Patagonia-Fleecewesten und Prada-Loafern zur Wall Street hetzen.
Die Biotech-Betrügerin Elizabeth Holmes orientierte sich an Steve Jobs: Ein schlichter schwarzer Rollkragenpullover in der sündteuren Kaschmirvariante von Issey Miyake verlieh ihr die Aura eines bescheidenen Genies. Auch sie änderte schließlich vor Gericht erneut ihre visuelle Strategie und setzte auf zartere Farben und femininere Schnitte.
Hochstapler:innen wissen um die manipulative Kraft der Mode und nutzen diese eiskalt – je nach Situation – für den eigenen Vorteilsgewinn. Sie haben aber auch etwas Rebellisches, denn sie beanspruchen einen Platz in der Welt, der für sie nicht vorgesehen war.
Geschmacksfragen: Mode und Gatekeeping
Die modischen Codes der Superreichen sind darauf ausgelegt, Außenstehende auf Abstand zu halten. Gerade zuletzt begeisterten vielbeachtete Serien wie Yellowstone oder Succession, deren Handlungen sich um schwerreiche Familienclans drehen, die Zuschauer:innen auch durch das Styling der Charaktere. Ganz ohne auffällige Label oder andere Angeber-Pieces zeigten sie, wie man sich in feinen Kreisen wirklich kleidet. Diskret, aber hochwertig. Genau hier setzt der Modetrend Quiet Luxury an. Auch als Stealth Wealth bezeichnet, imitiert der Look auf raffinierte Weise eine Old-Money-Ästhetik, die genau wie der Rollkragenpullover von Steve Jobs zeigen soll: Geld und Macht sind selbstverständlich und beiläufig – das muss nicht extra betont werden.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu schrieb in seinem Buch Die feinen Unterschiede, dass es bei der Darstellung von persönlichem Prestige nicht zuvorderst um Geld gehe, sondern um Geschmack. Den sogenannten guten Stil begreift Bourdieu dabei als mehr oder minder beliebige kulturelle Setzung, die jedoch schwer zu imitieren sei, da sie durch Erziehung von einer Generation an die nächste weitergegeben werde.
Stealth Wealth: Die geheimen Modecodes der Superreichen
1. Tiefstapeln. Protzen und Prahlen ist nur etwas für Neureiche und Verzweifelte. Wer nicht nur Geld, sondern auch Bildung und Geschmack besitzt, hat es nicht nötig, den eigenen Kontostand durch alberne Statussymbole in die Welt zu posaunen. Ein 30 Jahre alter Volvo wirkt hier überzeugender als ein nagelneuer Maserati.
2. Scheinbare Mühelosigkeit. Keinesfalls sollte es so wirken, als habe man sich für das eigene Outfit besondere Mühe gegeben. Die Haare sind gepflegt, aber immer leicht zerzaust. Akkurate Gelfrisuren oder perfekte Beach-Waves sind out. Alles muss so wirken, als habe man das Haus verlassen, ohne sich über das Aussehen allzu große Gedanken zu machen. Auch dann, wenn man vorher tatsächlich Stunden vor dem Spiegel stand.
3. Verweise auf die Herkunft. Bei Schmuck, der sowieso sparsam getragen werden sollte, muss es sich um Familienerbstücke handeln, oder zumindest diesen Eindruck erwecken. Auch Vintage-Designerstücke wurden selbstverständlich nicht im Internet ersteigert, sondern aus dem Kleiderschrank der Eltern gemopst.
4. Große Sonnenbrille, vor allem nachts oder indoor. Diese Marotte verleiht dem schlichten Stil genau den richtigen Hauch von Exzentrik, der die High Society auszeichnet.
Fraudster
Fashion
Hochstapeln hat Konjunktur. Gerissene Fraudster wie Anna Sorokin, die in Manhattan als reiche Industriellen-Tochter auftrat, oder Elizabeth Holmes, die in der Rolle der genialen Biotech-Unternehmerin Millionen ergaunerte, wurden zu Medienstars. Es geht aber auch eine Nummer kleiner: In den sozialen Netzwerken geht es bei modischen Inszenierungen längst nicht mehr nur um die Performance von Individualität, sondern darum, möglichst überzeugend einen High-Society-Lifestyle abzubilden. Was taugt die Mode als Strategie der Selbsterzählung?
Dr. Diana Weis (1974) studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Kommunikationswissenschaft in München und Berlin. Sie unterrichtet Modetheorie, Ästhetik und Körpersoziologie an verschiedenen Hochschulen und schreibt als freie Autorin Stilkritiken für zahlreiche Magazine. 2012 hat sie das Buch „Cool Aussehen. Mode & Jugendkulturen“ herausgegeben. Neben textilen Modephänomenen interessiert sie sich stark für Körpermoden und Schönheitsnormen. Sie promovierte 2017 an der Universität Hamburg mit einer kulturwissenschaftlichen Arbeit über das Nervengift Botox. Seit Oktober 2019 ist Diana Weis Professorin für Modejournalismus an der BSP Business School Berlin. Im März 2020 erschien ihr Buch „Modebilder“ in der Reihe Digitale Bildkulturen bei Wagenbach.
Eine Verwechslungs-
komödie:
Mode und Selbst
Eigentlich ist Shakespeare an allem schuld. Mit seinen Verwechslungskomödien führte er einem erstaunten Theaterpublikum schon vor gut 400 Jahren vor Augen, wie die Mode als Mittel der Täuschung genutzt werden kann. In Der widerspenstigen Zähmung wird ein betrunkener Kesselflicker zum feinen Herrn ausstaffiert und genießt dadurch Respekt und Privilegien, die ihm vorher verschlossen waren.
Bühne, Scheinwerferlicht und Vorhang sind Sinnbild des sozialen Lebens, vielleicht des Lebens überhaupt: Jeder Mensch spielt verschiedene Rollen und muss dem eigenen Selbst dabei ebenso gerecht werden, wie den Erwartungshaltungen der Umwelt. Nicht immer lassen sich dabei Wunsch und Wirklichkeit trennen. Ist ein Zahnarzt, der in seiner Freizeit in der schwarzen Perfecto-Lederjacke seine Harley besteigt, im Herzen eigentlich ein Rocker? Welche Rolle ist authentisch, welche gespielt? Als Indikator zeigt die Mode eben nicht verlässlich an, wer eine Person ist, sondern gibt Auskunft darüber, wer sie gerne wäre.
Fake it till you
make it:
Mode und soziale
Mobilität
Die verurteilte Hochstaplerin Anna Sorokin, Tochter eines russischen LKW-Fahrers, wollte mehr vom Leben. Also erfand sie einen reichen Daddy und ein millionenschweres Bankkonto, bei dem es bedauerlicherweise immer wieder zu Komplikationen und Verzögerungen kam. Man wundert sich, mit welcher Naivität Banken und Bekannte ihr immer wieder hohe Summen vorstreckten, Luxushotels und teure Restaurants ihr die Rechnungen stundeten. Der Grund war simpel: Sie spielte ihre Rolle überaus überzeugend. Sie nutze Designer-Labels bewusst als Eintrittskarte für einen Lifestyle, den sie sich nicht leisten konnte, der ihr aber nach dem eigenen Empfinden zustand. Die Netflix-Serie Inventing Anna, die auf ihrem Leben basiert, wurde zur Kostümschlacht mit Signature-Pieces von Oscar de la Renta, Gucci, Prada oder Givenchy. Zu Halloween stolzierten Heere von Möchtegern-Annas in übergroßen Céline-Sonnenbrillen durch die Straßen von Manhattan. Ihren ikonischsten Auftritt hatte Anna bei der Urteilsverkündung vor Gericht: In einem weißen Babydollkleid wurde sie zur personifizierten Unschuld vom Lande.
Das Outfit muss zur Rolle passen. Hochstapler:innen sind gute Beobachter:innen. George Santos brachte es bis in den US-Kongress, weil er unter anderem den Stil der New Yorker Finanz-Bros imitierte: Reiche Söhne mit Ivy-League-Abschlüssen, die mit Patagonia-Fleecewesten und Prada-Loafern zur Wall Street hetzen.
Die Biotech-Betrügerin Elizabeth Holmes orientierte sich an Steve Jobs: Ein schlichter schwarzer Rollkragenpullover in der sündteuren Kaschmirvariante von Issey Miyake verlieh ihr die Aura eines bescheidenen Genies. Auch sie änderte schließlich vor Gericht erneut ihre visuelle Strategie und setzte auf zartere Farben und femininere Schnitte.
Hochstapler:innen wissen um die manipulative Kraft der Mode und nutzen diese eiskalt – je nach Situation – für den eigenen Vorteilsgewinn. Sie haben aber auch etwas Rebellisches, denn sie beanspruchen einen Platz in der Welt, der für sie nicht vorgesehen war.
Geschmacks-
fragen:
Mode und
Gatekeeping
Die modischen Codes der Superreichen sind darauf ausgelegt, Außenstehende auf Abstand zu halten. Gerade zuletzt begeisterten vielbeachtete Serien wie Yellowstone oder Succession, deren Handlungen sich um schwerreiche Familienclans drehen, die Zuschauer:innen auch durch das Styling der Charaktere. Ganz ohne auffällige Label oder andere Angeber-Pieces zeigten sie, wie man sich in feinen Kreisen wirklich kleidet. Diskret, aber hochwertig. Genau hier setzt der Modetrend Quiet Luxury an. Auch als Stealth Wealth bezeichnet, imitiert der Look auf raffinierte Weise eine Old-Money-Ästhetik, die genau wie der Rollkragenpullover von Steve Jobs zeigen soll: Geld und Macht sind selbstverständlich und beiläufig – das muss nicht extra betont werden.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu schrieb in seinem Buch Die feinen Unterschiede, dass es bei der Darstellung von persönlichem Prestige nicht zuvorderst um Geld gehe, sondern um Geschmack. Den sogenannten guten Stil begreift Bourdieu dabei als mehr oder minder beliebige kulturelle Setzung, die jedoch schwer zu imitieren sei, da sie durch Erziehung von einer Generation an die nächste weitergegeben werde.
Stealth Wealth:
Die geheimen
Modecodes der
Superreichen
1. Tiefstapeln. Protzen und Prahlen ist nur etwas für Neureiche und Verzweifelte. Wer nicht nur Geld, sondern auch Bildung und Geschmack besitzt, hat es nicht nötig, den eigenen Kontostand durch alberne Statussymbole in die Welt zu posaunen. Ein 30 Jahre alter Volvo wirkt hier überzeugender als ein nagelneuer Maserati.
2. Scheinbare Mühelosigkeit. Keinesfalls sollte es so wirken, als habe man sich für das eigene Outfit besondere Mühe gegeben. Die Haare sind gepflegt, aber immer leicht zerzaust. Akkurate Gelfrisuren oder perfekte Beach-Waves sind out. Alles muss so wirken, als habe man das Haus verlassen, ohne sich über das Aussehen allzu große Gedanken zu machen. Auch dann, wenn man vorher tatsächlich Stunden vor dem Spiegel stand.
3. Verweise auf die Herkunft. Bei Schmuck, der sowieso sparsam getragen werden sollte, muss es sich um Familienerbstücke handeln, oder zumindest diesen Eindruck erwecken. Auch Vintage-Designerstücke wurden selbstverständlich nicht im Internet ersteigert, sondern aus dem Kleiderschrank der Eltern gemopst.
4. Große Sonnenbrille, vor allem nachts oder indoor. Diese Marotte verleiht dem schlichten Stil genau den richtigen Hauch von Exzentrik, der die High Society auszeichnet.
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